Apotheken-Protestwelle im Herbst rollt an

Seit langem werden öffentliche Apotheken bedroht von Arzneimittel-Lieferengpässen der Pharmaindustrie, Bürokratie, von Zahlungsverweigerungen der Krankenkassen wegen Formfehlern auf Rezepten (Retaxationen) und vom erhöhten Kassenabschlag, der im vergangenen Februar das viel zu niedrige effektive Packungs-Fixhonorar nochmals verkürzt hat auf 6,35 €. Dies ließ bundesweit Apotheker:innen mit ihren Apothekenteams am 14. Juni auf die Straße gehen, um die so dringend benötigte Sicherung einer qualitativ hochwertigen flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch eine Stärkung der Apotheken vor Ort einzufordern.

Die BILD-Zeitung sprach am 19.09.2023 vom „Aufstand der Apotheken“. „Die über 200 Listen zu ca. 700 fehlenden Arzneimitteln beweisen, dass unser Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Bevölkerung mehrfach falsch informiert hat. Die Versorgungssicherheit mit Arzneimittel für die kommende Herbst-Wintersaison ist eben nicht gewährleistet. Seine Behauptung am 14.09.2023 im ARD-Morgenmagazin, Apotheken verunsicherten Mütter und Väter, war eine weitere öffentliche Falschinformation und kommt einer Verleumdung nahe, denn gerade die Apotheken kümmern sich seit Monaten und geben ihr letztes Hemd, um die Kinder und alle Patienten versorgen zu können,“ so Apothekerin Sylvia Trautmann, Apotheke Bühlau.

Was werden die Apotheken jetzt unternehmen?

Sylvia Trautmann: „Unser Protest wird in Sachsen am Montag, den 2. Oktober als Schließtag vieler Apotheken weiter fortgesetzt. Weiterhin wird bundesweit ein „Apotheken-Protest-November“ ab 8. November beginnen, den die ABDA gestern beim deutschen Apothekertag ausgerufen hat: An jedem Mittwoch dieses Monats werden Apotheken in unterschiedlichen Regionen Deutschlands schließen (Osten, Norden, Westen und Süden). Am 29. November soll es dann in Berlin eine große Kundgebung geben.“

Was treibt die Apotheken an zu Ihrem Protest?

Sylvia Trautmann:“ Seit mehr als 10 Jahren ist das packungsbezogene Fixhonorar für abgebebene Arzneimittel eingefroren. Es gibt keinen Berufsstand in Deutschland, der eine solch lange Zeitspanne von der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes abgekoppelt worden ist, noch dazu in Zeiten rapide steigender Inflation und Betriebskosten! Was ist in den elf Jahren Honorar-Stillstand passiert? Die Einnahmen der GKV sind um 60 % gestiegen, die Tariflöhne in den Apotheken sind um 30 % gestiegen und der Verbraucherindex ist um 38 Prozent angestiegen. Die Apothekenhonorare machen nur 2 % der Gesamtkosten der GKV aus, so dass deren inflationsbereinigte Anhebung keine große Mehrbelastung für Krankenkassen wäre. Mehr Geld ist für Apotheken deswegen auch dringend nötig, um den 160 000 Apotheken-Mitarbeitern ein angemessenes Gehalt zahlen zu können und so die Arbeitsplätze zu stabilisieren. Bis heute hat sich die Politik ignorant vor ihrer Verantwortung und Pflicht gedrückt, dass die so dringend benötigte finanzielle Stärkung der Apotheken eine entscheidende Existenzfrage über deren „Sein“ oder „Nicht-Sein“ ist. Apotheken fordern von der Politik ein packungsbezogenes Honorar von mindestens 12 Euro, weil nur das endlich der Betriebskostenentwicklung Rechnung trägt und ihr wirtschaftliches Überleben ermöglicht.“

 

Unter den derzeitigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingen schließen immer mehr Apotheken. Welche Probleme und welche Forderungen stehen im Raum?

Sylvia Trautmann: „Die permanent immer schneller sinkende Apothekenzahl – derzeit gibt es nur noch 17.830 Apotheken in Deutschland – wird von Lauterbach geringschätzig als „Konsolidierung“ des Marktes bezeichnet. Dabei liegen wir jetzt bereits mit unserer deutschen Apothekendichte (Apothekenanzahl je Einwohner) im tiefen unteren Drittel beim europäischen Gesamtvergleich. Doch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kommt derzeit nichts, was den Apothekenmitarbeitern Zuversicht geben könnte. Vor zwei Wochen erklärte er etwa im ARD-Morgenmagazin, Apotheker:innen würden im Kampf um eine Honorarerhöhung Kinder und Eltern verunsichern, wenn sie vor Lieferengpässen warnen. Dies ist eine manipulative Unterstellung, die schon den Tatbestand einer Verleumdung erfüllt. Apotheker:innen verunsichern nicht, sondern machen lediglich auf den Ernst der Versorgungslage mit Arzneimitteln aufmerksam! Unsere Apothekenteams vollbringen jeden Tag Höchstleistungen, um trotz der vielen Lieferengpässe Patienten immer noch mit allen Arzneimitteln zu versorgen.

Die Apothekerschaft hatte Gesundheitsminister Lauterbach anlässlich des Deutschen Apothekertages am 27. September aufgefordert, auf sechs brennende Fragen Antworten zu geben. Diese hat er bis heute nicht beantwortet. Kurz vorher stattdessen erklärte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Gesetzespläne zur Apothekenvernichtung in ihrer jetzigen Form. Diese sind für uns eine erneute Provokation, ein unbegreifliches Zeichen verantwortungsloser Geringschätzung unserer Arbeitsleistungen. Seine Antworten sind: mehr Filialen pro Hauptapotheke; Filialen ohne Labor und mit reduzierter Ausstattung; keine Notdienste in Filialen, Umverteilung bestehender Apotheken-Honorare zu Gunsten der Landapotheken. Und erfahrene PTAs sollen unter Videounterstützung durch Apotheker zeitweise die Apotheke leiten können. Filialapotheken werden so zu bloßen Arzneimittelabgabestellen herabgewürdigt. Wir Apotheken fragen uns: Wie soll eine Versorgung auf dem Land ohne Notdienste funktionieren? Wo soll das Personal herkommen für neue Filialen, wenn seit Jahrzehnten die Berufsattraktivität und die Ausbildungskapazitäten in Apotheken durch die Politik herunter gefahren worden sind? Wie sollen die Lieferengpässe bei Arzneimitteln ohne die Möglichkeit der Rezeptur-Herstellung in allen Apotheken abgemildert werden? Wie soll ein Apotheker per Video eine PTA-Mitarbeiterin anleiten, wenn dieser selber gleichzeitig in der Hauptapotheke arbeiten und Führungskraft muss? Die von Lauterbach gewollten „Apotheken light“ werden alle noch funktionierenden Vollapotheken unnötig schwächen. Gerade die freiberufliche kleinteilige Struktur der Apotheken in ihrer jetzigen Form war es, die sich in der Corona-Krise absolut bewährt hat. SPD-Politiker Karl Lauterbach ist als erster Bundesgesundheitsminister dazu bereit, das Apothekensystem, das unsere Bevölkerung seit Jahrzehnten zuverlässig versorgt, gänzlich zu zerstören Mit Ulla Schmidt hatte dies schon einmal eine SPD-Politikerin des linken Flügels versucht – jetzt will Lauterbach als ihr ehemaliger Berater dies erneut! Mit solchen Maßnahmen kommen Leistungskürzungen auf Patienten zu.“

 

Welche Aufgaben sehen für Ihren Berufsstand?

Sylvia Trautmann: “Die Apothekerinnen und Apotheker mit ihren Teams werden in dieser Lage zusammenstehen. Mit hohem Einsatz werden sie um den Erhalt der freiberuflichen Apotheke vor Ort kämpfen, um die hohe Leistungsbereitschaft in der Versorgung aller Patienten weiterhin möglich zu machen! Gute Weiterbildung und faire, marktgerechte Bezahlung all unserer Apothekenmitarbeiter soll künftig mit gesetzlichen Maßnahmen abgesichert werden, damit sie als studierte Arzneimittelfachleute weiterhin persönlich beratend ihren Patienten zur Seite stehen können. Dafür kämpfen wir gemeinsam!“