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Interview mit Apothekerin Sylvia Trautmann
Wie kommt es, dass Apotheker am 14. Juni bundesweit protestieren mit der Schließung ihrer Apotheken?
Sylvia Trautmann: „Ich kämpfe gemeinsam mit meinen Kollegen ums wirtschaftliche Überleben wegen der Tatsache, dass der Gesetzgeber unser effektives packungsbezogenes Fixhonorar für verschreibungspflichtige Arzneimittel von ca. 6,67€ seit ca. 20 Jahren nicht an die Inflation und auch nicht an die durchschnittliche Einkommensentwicklung angepasst hat. Es ist durch inflationäre Kostensteigerungen unwirtschaftlich geworden. Wenn das nicht bald von den politisch Verantwortlichen angehoben wird, werden viele Apotheken-Existenzen in Deutschland vernichtet und so die flächendeckende Arzneimittelversorgung vor Ort für immer zerstört. Das Apotheken-Sterben im Jahr 2022 hat bereits eine Zahl von ca. 400 Apothekenschließungen erreicht, die sehr wahrscheinlich die nächsten Jahre noch größer wird. Ich bin wie meine Kollegen schockiert darüber, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach würdelose Gesetze gegen Apotheken auf den Weg bringt, die unverhohlen eine krasse Geringschätzung gegen unseren Berufsstand belegen und das wirtschaftliche Absterben öffentlicher Apotheken massiv fördern.
Gehören damit Apotheker nicht mehr zur wohlhabenden Mitte unserer Gesellschaft?
Sylvia Trautmann: „Das öffentliche Klischee vom Apotheker scheint immer noch so auszusehen, als ob diese Berufsgruppe zu den gut verdienenden Menschen in unserer Gesellschaft gehöre. So prägte etwa der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner einst das Zitat vom „Porsche-fahrenden Apotheker gleich nach dem Staatsexamen.“ Das von einigen Medien und Politikern geprägte Bild vom sehr wohlhabenden Apotheker entspricht schon längst nicht mehr der durchschnittlichen Mehrheit. Die Wahrheit ist eine andere. Das kürzlich erschienene BMG-Faktenblatt zur Lage der Apotheken verkennt zudem z.B. leider komplett die betriebswirtschaftliche Tatsache, dass Umsatz nicht gleich Betriebsergebnis ist und das ein Betriebsergebnis bei Selbstständigen nicht gleich dem Unternehmerlohn gleichzusetzen ist! Hier gibt es noch hohe Abzüge….Viele selbstständige ApothekerINNen sind diesbezüglich von der Gesundheitspolitik in den letzten Jahren mehrfach demoralisiert und ins Abseits gedrängt worden.“
Können Sie Beispiele nennen?
Sylvia Trautmann: „Wir Apotheker managen immer mehr Nichtlieferbarkeiten von Arzneimitteln, die bundesweit vom jeweiligen Hersteller auf unbestimmte Zeit nicht lieferbar sind. Diese ärgerlichen und eindeutig sparpolitisch bedingten Lieferengpässe bei mehreren Hundert Arzneimitteln sind aufwendige Zeitfresser, die zu unbezahlter Mehrarbeit führen und so die Personalkosten insgesamt noch mehr verteuern. In dem aktuellen Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) will die Ampelkoalition einen 50-Cent-Zuschlag mit hohen bürokratischen Hürden fürs Management der vielfältigen Arzneimittel-Lieferengpässe einführen, obwohl diese 50 Cent gerade mal 90 Sekunden Arbeitszeit der allerniedrigsten Gehaltsstufe abdecken.
Weiterhin müssen Apotheken seit Februar 2023 an die Krankenkassen einen höheren Zwangsrabatt entrichten: Statt 1,77€ sind es nun 2€, die sie von ihrer stagnierenden Fixvergütung für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel an die Krankenkassen abgeben sollen. Auslöser war das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz der jetzigen Ampelkoalition. Dadurch wird eine zusätzliche durchschnittliche Belastung mit 7000€ je Apotheke pro Jahr erzeugt. Mindestens 120 Mio. € werden mit dieser Sparmaßnahme den Apotheken jährlich entzogen und das trotz starker Inflation! Herr Lauterbach ignoriert leider sehr bockig, dass im Jahr 2023 die apothekenspezifischen Betriebskosten in ruinöser Höhe angewachsen sind: Die Personalkosten steigen per Tarif weiter an und wegen des Fachkräftemangels werden übertarifliche Zulagen erforderlich. Die Energiekosten werden sich trotz Strom- und Gaspreisbremsen mindestens verdoppeln. Die IT-Dienstleister der Apotheken erhöhen ihre monatlichen Gebühren erheblich wegen ständig neuer gesetzlicher Belieferungs- und Taxations-Vorgaben. Und die Großhändler verschlechtern inflationsbedingt ihre Einkaufskonditionen für Apotheken. Bisher hat die Ampelkoalition den Warnungen der Apotheker kein Gehör geschenkt.
Sie sprachen von einem packungsbezogenen Fixvergütung und dem Unternehmerlohn. Können Sie das uns hier näher erläutern?
Durchschnittlich werden 80 % des Umsatzes aller Apotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemacht, der Rest sind frei käufliche Produkte. Die Fixvergütung ist das Honorar der Apotheken pro verschreibungspflichtige Arzneipackung, welche gemäß der AMPreisV erfolgt und 2004 vom Gesetzgeber auf der Grundlage der Daten von 2002 eingeführt wurde. Die effektive kalkulatorische Packungs-bezogene Fixvergütung beträgt derzeit 6,67 €, für die eine Apotheke sehr viel personalintensive Gegenleistungen erbringen muss. Die Erhöhung der Betriebskosten in Apotheken seit 2004 wurde mit dieser effektiven Fixvergütung jedoch nur zu 10 Prozent abgedeckt! Wer kann sonst heute noch zu den Preisen bzw. Einnahmen von 2004 arbeiten? Das geht nicht mehr weiter so! Das durchschnittliche Apotheken-Betriebsergebnis in 2022 ist um etwa 30% gegenüber 2021 eingebrochen und wird 2023 einen neuen krassen Tiefflug erleiden. Eine jetzt schon sichtbare Folge ist, dass 2022 ca. 400 Apotheken für immer aus dem Markt ausgeschieden sind. Die Zahl der Apothekenschließungen steigt momentan mit einer stärker werdenden Intensität an. Von der Gesundheitspolitik wird das defizitäre Wirtschaften in der öffentlichen Arzneimittelversorgung ignoriert trotz unserer Warnungen.
Sie haben eine Apotheke oder noch Filialen?
„Ich habe nur die eine Apotheke in Dresden, ja.“
Laut der Apotheker-Dachorganisation ABDA setzt eine durchschnittliche Apotheke in Deutschland jährlich 3,2 Millionen. Macht man mit solchen Umsätzen denn zu wenig Gewinn als Apotheke?
Sylvia Trautmann „Prinzipiell ist das so, ja. Der durchschnittliche Netto-Umsatz einer Apotheke in Deutschland liegt zwar bei 3,22 Millionen Euro pro Jahr, aber durch die sehr breite Streuung erreichen 60 Prozent der Apotheken diesen durchschnittlichen Umsatz nicht und liegen weit unter diesem Jahresumsatz. Betriebswirtschaftlich läuft es folgendermaßen: Der Umsatz ist nicht identisch mit Gewinn bzw. dem Betriebsergebnis. Zieht man vom Umsatz den gesamten Wareneinkaufswert ab sowie alle anfallenden Betriebskosten wie Löhne, Miete, Versicherungen usw., kommt man auf den deutlich geringeren Betrag „Gewinn vor Steuern“, der in diesem Jahr von Wirtschaftsexperten auf durchschnittlich 150 000 € pro Apotheke geschätzt wird. Von diesem Betrag muss der selbstständige Apotheker seine Einkommenssteuer, Gewerbesteuer, Beiträge für Krankenversicherung und Altersvorsorge zusätzlich in voller Höhe bezahlen. Der verbleibende Restbetrag honoriert die Arbeit des Apothekeninhabers aber auch nur teilweise, denn daraus müssen auch noch alle notwendigen betrieblichen Investitionen der Apotheke finanziert werden, die ihrer Reproduktion und Zukunftsfähigkeit dienen. Denken wir an die z.B. Digitalisierung, automatisiertes Warenlager, Botenfahrzeuge, Raum-Klimatisierung und Einrichtung.
Welches Ziel möchten Sie persönlich mit Ihrem Protest erreichen?
Sylvia Trautmann: „Ich möchte mit meinen Kollegen gemeinsam an diesem Tag die Öffentlichkeit sensibilisieren und auf politischer und sozialer Ebene protestieren, dass unser derzeitiges packungsbezogenes Fixhonorar für verschreibungspflichtige Arzneimittel ein völlig unterbewerteter Gegenwert der Leistungen der Apotheken für die Gesellschaft ist, der zudem einen negativen Stückgewinn pro Arzneipackung erwirtschaftet. Ich fordere verantwortliche Gesundheitspolitiker dazu auf, dass dieses nach über 20 Jahren Pause unbedingt angehoben werden muss, um den Großteil der Apotheken aus der defizitären Zone herauszuholen. Denn aus den jetzt erkennbaren rückläufigen Einnahmen der Apotheken lassen sich in Zeiten von Inflation und Fachkräftemangel auch keine angemessenen Gehälter mehr zahlen. Unsere Mitarbeiter müssen für ihre pharmazeutisch verantwortungsvolle Arbeit gegenüber den Patienten ein angemessenes Gehalt erhalten. Dazu stehe ich als Apotheken-Inhaberin in der Verantwortung und kämpfe auch für meine Angestellten. Wir Apotheker protestieren aber auch für unsere Patienten und Kunden, denen immer mehr Nachteile entstehen durch den rücksichtslosen Sparkurs unserer Regierung, der Arzneimittel-Lieferengpässe und ein Apothekensterben zur Folge hat.“
Wie stellen Sie sich ihre Zukunft vor?
Sylvia Trautmann: „Mit dem baldigen Renteneintritt der Babyboomer-Generation beginnt auch in Apotheken eine neue Ära des extremen Fachkräftemangels. Ohne angemessene Honorarerhöhung müssen Apotheken eine massive Abnahme Ihres Personalbestandes befürchten und dann ist das flächendeckende System öffentlicher Apotheken nicht mehr aufrechtzuerhalten. Schon jetzt haben 75 Prozent aller deutschen Apotheken akuten Personalmangel.
Dennoch: Gerne würde ich mit meinen 59 Jahren weiter in meiner Apotheke arbeiten, weil ich meinen Beruf liebe und meine Kollegen und Kunden sehr mag. Aber zwischen Wollen und Können liegt das wirtschaftliche Existenzproblem aller Apotheken, das auch mich bedrückt und darüber entscheidet.“